Das wird Morgen in der Zeitung stehen und es wird wiedermal keinen interessieren....
Wenn heute an die Übergabe des Berichts »Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« im Französischen Dom in Berlin vor genau zehn Jahren erinnert wird, dann denken viele an Hartz IV, jenes Grundsicherungssystem, in das Millionen Menschen samt Partnern und Kindern ohne Rücksicht auf Qualifikation oder Berufserfahrung hineingepreßt werden und das Hunderttausende in unterwertige Arbeitsplätze gezwungen hat, ohne ihnen sozialen Schutz zu bieten.
In der Tat hat die Kommission, die den Bericht erstellt hat, einige Dämme zur Deregulierung am deutschen Arbeitsmarkt eingerissen und eine Sozialbehörde zum datenfressenden Controlling- und IT-Monster pervertiert . Und sie hat mit ihrem Modul 6 (»Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenführen«) und Modul 3 (mit dem zynischen Titel »Neue Zumutbarkeit und Freiwilligkeit«) die Stichworte für Hartz IV gegeben – aber eben nur die Stichworte. Auch hat sie diese mit teilweise anderen Vorstellungen über die Umsetzung verbunden, was letztlich die Öffentlichkeit besonders raffiniert getäuscht hat in bezug darauf, was mit Hartz IV und nicht zu vergessen auch mit der deutlichen Verschlechterung der Arbeitslosenversicherung im Rahmen von HartzIII auf sie zukommen sollte.
Schon immer war auffällig, daß diejenigen, die die damaligen Vorgänge erforschen, weniger auf die Analyse von öffentlich zugänglichen Dokumenten zurückgreifen konnten, sondern auf die Auswertung von Insiderinformationen, meist anonymisierte Interviews mit Akteuren der damaligen Zeit, angewiesen waren. Diese Untersuchungen sind inzwischen ergänzt durch die Arbeit von Anke Hassel und Christof Schiller1, die wiederum Insider interviewt haben, die mit zunehmendem zeitlichen Abstand auch immer unbefangener geplaudert haben. Hassel absolvierte 2003/2004 einen Forschungsaufenthalt in der Leitungs- und Planungsabteilung des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit unter Wolfgang Clement, wo sie eigentlich an einer Analyse der Grenzen deutscher Reformkapazität arbeiten wollte. Ihre Beobachtungen zur Entstehung von Hartz IV haben sie jedoch von der »Reformfähigkeit« des deutschen Sozialstaats und insbesondere der Ministerialbürokratie überzeugt. Sie betrachtet die Vorgänge allerdings weniger kritisch aus demokratischer, rechtsstaatlicher oder gar sozialer Sicht, sondern mit einer gewissen Faszination für das strategische Arbeiten der Bürokratie, wo sie einen neuen Typ politischer Unternehmer erkennt, also aus einer Elitenperspektive. Jetzt ist sie Professorin für Public Policy an der privaten Hertie School of Governance in Berlin und dort Kollegin von Jobst Fiedler, der 2004 zum Professor für Public and Financial Management ernannt wurde und als Mitglied der Hartz-Kommission noch in Diensten der Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants stand.
Aus ihren Informationen ergibt sich kurz gesagt: Speziell Hartz IV sowie die verbliebene Restarbeitslosenversicherung und Restsozialhilfe haben wir nicht in erster Linie der Hartz-Kommission oder gar dem Namensgeber Peter Hartz persönlich zu verdanken, sondern einer geheimen Staatsaktion, einer recht undemokratischen, handstreichartigen Hintergrundarbeit aus dem Bundesarbeitsministerium (BMA) und dem Bundeskanzleramt – einverständlich koordiniert und gelenkt durch die Bertelsmann Stiftung.
Hassel schreibt in dem Kapitel »Stunde der Reformer«, daß es Anfang 2002 bereits »einen Kern verantwortlicher Politiker und Beamter« gegeben habe, »die die Probleme am Arbeitsmarkt in ähnlicher Weise interpretierten und den Vermittlungsskandal (der Bundesrechnungshof hatte im Januar 2002 der BA gravierende Fehler in der Vermittlungsstatistik nachgewiesen – d. Red.) nutzen wollten, um ihre Reformvorschläge durchzusetzen«. »Tragende Akteure« dieses Prozesses seien im Bundeskanzleramt Frank Walter Steinmeier und im BMA Staatssekretär Gerd Andres gewesen. Walter Riester, damals Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, erinnert sich nach dem Vermittlungsskandal an ein Gespräch mit Steinmeier: »Walter, wir müssen das eigentlich mit einem massiven eigenen Schlag lösen. Wir stehen jetzt vor der Bundestagswahl. Und seine (Steinmeiers) erste Vorstellung war, McKinsey einzusetzen.« Vermutlich dachte Steinmeier schon damals an den befreundeten McKinsey-Berater Markus Klimmer, verantwortlich für den Bereich »Public Sector« und Promoter für technologiedominierte Verwaltung und Privatisierung, den er 2008 für sein Wahlkampfteam engagierte und der bis heute IZA Policy Fellow, Mitglied im Managerkreis der Ebert-Stiftung, in der SPD sowie in deren Wirtschaftsrat ist und neuerdings im gleichen Feld für das Managementberatungsunternehmen Accenture arbeitet.
Steinmeier teilte diese Vorliebe für die »Meckis« mit Peter Hartz, der aber wegen gemeinsamer Projekte bei VW den McKinsey-Direktor Peter Kraljic für seine Kommission vorzog. Später stießen Florian Gerster (heute ebenfalls Mitglied im Managerkreis der Ebert-Stiftung und in der SPD, IZA Policy Fellow, Präsident des Bundesverbands Briefdienste, Botschafter der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« und Unternehmensberater; damals kurzzeitig Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit) und Wolfgang Clement (heute konsequenterweise bei der FDP) zu dieser Gruppe.
Gerd Andres nutzte die Gunst der Stunde unter dem noch unerfahren Minister Riester, der sich zudem mehr für die Alterssicherung interessierte, um die zuständige Abteilung mit jungen und einschlägig ausgewählten Mitarbeitern wie Abteilungsleiter Bernd Buchheit aus NRW und weiteren Referatsleitern neu zu besetzen. Buchheit sorgte dafür, daß die Zuständigkeit für Sozialhilfe vom Gesundheitsministerium schnell ins BMA verlegt wurde. Das Geheimgremium
Das alles ist für sich genommen noch nicht anstößig. Nur wurde die weitere Arbeit nach außen und von demokratischer Auseinandersetzung und Kontrolle abgeschottet. Denn man baute nichtöffentlich mit der Bertelsmann-Stiftung einen Arbeitskreis »Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe« auf, der dann an zentraler Stelle an der Politikformulierung beteiligt wurde.
Ich selbst war dem breiten Akteursgeflecht, das die Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen hatte, nur mit viel Mühe auf die Spur gekommen, als ich den Aktivitäten der Bertelsmann-Stiftung und der von ihr beauftragten Mitarbeiter (Frank Frick, Werner Eichhorst, Helga Hackenberg) nachging, 2 deren Dokumente nur teilweise zugänglich und dann plötzlich auch im Netz verschwunden waren.
Dieser Arbeitskreis wurde verzahnt mit einem weiteren Bertelsmann-Projekt, »Beschäftigungsförderung in Kommunen« (BiK), wo schon in Sozialhilfezeiten kommunal mit Workfare-Modellen experimentiert wurde und die Popularisierung von Workfare-Entwicklungen in den USA (Wisconsin), Großbritannien und den Niederlanden betrieben wurden – Experimente, auf die auch Roland Koch von der CDU schon ein Auge geworfen hatte und die öffentlich zu diskutieren ein parteipolitisches Risiko geworden wäre.
Allerdings war über den Arbeitskreis kaum etwas in Erfahrung zu bringen. Vertreter des BMA sowie des Kanzleramtes nahmen teil, aber auch Vertreter aus Länderministerien und Kommunalverwaltungen, vor allem aus dem federführenden Bundesland Nordrhein-Westfalen. Heinrich Alt von der BA, Martin Kannegiesser von Gesamtmetall und sogar Wilhelm Adamy vom DGB. Die Arbeitsgruppe wurde bewußt nicht beim BMA angesiedelt, was ein Mitarbeiter so begründete: »Wenn wir als BMA einen Gesprächskreis institutionalisieren und dazu einladen (…), dann kommen die alle mit ihren institutionellen Hüten, und wir kriegen keine Debatte.«
Anke Hassel schreibt mit Bezug auf von ihr interviewte Beteiligte: »Die politischen Parteien und Bundestagsabgeordnete waren im Arbeitskreis nicht vertreten. Nach der Einschätzung eines Beteiligten hatte sich in den Parteien in dieser Frage niemand profiliert. Wesentliche Spielregel des Arbeitskreises war, daß alle Mitglieder nur als Person und nicht als Vertreter einer Institution auftraten. Eine Voraussetzung dafür war, daß keine Einzelheiten und Ergebnisse publik werden sollten. Ein anderer Teilnehmer erinnert sich: ›Hier konnte man als Privatmann sprechen.‹ Die Auswahlkriterien für den Teilnehmerkreis waren zum einen die Kenntnis der Probleme der Arbeitsverwaltung, zum anderen die individuelle Bereitschaft, über institutionelle Reformen nachzudenken. (...) Alle Teilnehmer waren dafür bekannt, offen für Kompromisse und neue Ideen zu sein. Da es sich bei dem Arbeitskreis um einen geschlossenen Kreis handelte, bei dem Sitzungen weder dokumentiert noch publik gemacht wurden, konnten Kompromisse über Parteigrenzen und institutionelle Restriktionen hinweg ermöglicht werden. Die Bertelsmann-Stiftung stellte dafür die (finanziellen) Projektressourcen und die wissenschaftliche Expertise zur Verfügung und organisierte Studienreisen. Die Initiative sowie die Themensetzung kam jedoch aus dem BMA in Person von Bernd Buchheit, dem Abteilungsleiter der Abteilung II Arbeitsmarktpolitik.«
Der Arbeitskreis traf sich zu Workshops an abgelegenen Orten und führte dort offene Debatten über die Fehlentwicklungen der Arbeitsmarktpolitik. Bald erschien die Zusammenlegung der beiden Systeme Arbeitslosen- und Sozialhilfe als die »einzig gangbare Lösung in der Arbeitsmarkpolitik«. Der DGB-Vertreter wehrte sich zwar dagegen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Spätestens dann hätte die Überlegung öffentlich gemacht werden müssen. Wurde sie aber nicht, im Gegenteil: Die Lösung wurde bereits als alternativlos gehandelt.